DIE KLOSCHÜSSEL

INHALTSVERZEICHNIS

Wolfgang Nieblich, Berlin

Geschichte, Installation und Fotos:
Andreas Hahn, Berlin 2023


KAPITEL 1 — Die Kloschüssel

Wolfgang Nieblich, Berlin

Fedor Winterkorn ist auf dem Weg von seiner Wohnung zu seinem Zigarettenladen. Er kommt an einem Haus vorbei, vor dem ein Baugerüst steht. Als er an der Hälfte das Hauses vorbeigegangen ist, fällt von dem Gerüst ein Buch herunter, ihm genau vor die Füße. Er hebt das Buch auf, liest dein Titel «Leben und Tod“» den Untertitel «Eine philosophische Abmahnung», blättert darin, steckt das Buch in seine Taschen geht weiter zu dem Laden.

Prof. Dr. Dr. Fedor Winterkorn ist ein Meter siebzig groß, hat lange graue Haare, trägt einen schwarzen Lodenmantel, eine Nickelbrille und sieht Einstein ähnlich. Er hat sein Leben lang studiert—sechsundfünfzig Semester lang. In Mathematik und Physik hat er promoviert, in Philosophie habilitiert. Und er hat einige Semester Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert. Er ist ein Kauz. 

In den beiden letzten Jahren hat er sich intensiv mit dem Tod beschäftigt und es ist gerade sein Buch «Über den Tod» erschienen. Im Anfange des Buches ist faksimiliert auch sein Testament abgedruckt. In dem Testament verfügt er, dass alle seine Bücher, Manuskripte und Handschriften er der Akademie der Wissenschaften übereignet. Was mit dem Rest geschieht, ist ihm egal. Die wichtigsten Zeilen in seinem Testament ist die Regelung seiner Beerdigung. Die Grabstätte habe er bereits für zweihundert Jahre im Voraus bezahlt, weil er denke, dass die Erde im Jahre 2218 nicht mehr existieren werde. 

Drei Wochen später verstirbt Fedor Winterkorn. Nach weiteren 14 Tagen ist die Urnenbeisetzung. Knapp sechzig Personen stehen an seinem Grab. Das Grab hat eine Grundfläche von einem Mal einem Meter. Die Fläche ist mit Gras bewachsen. In der Mitte ist ein zirka 40 Zentimeter tiefes Bohrloch mit einem Durchmesser von zwölf Zentimetern. Über dem Loch steht ein Toilettenbecken mit einem Abfluss nach unten, der genau über dem Loch sich befindet. Das Besondere der Kloschüssel ist ihr Material. Das Klosett ist aus Granit gefertigt, einschließlich der Brille und dem Deckel. In dem Deckel sind seine Namen und Lebensdaten eingemeißelt. 

Der katholische Pfarrer öffnet den Deckel, auch den Urnendeckel und schüttet die Asche in den Abfluss. Winterkorns bestem Freund ist es vorbehalten, eine Flasche teuersten Rotwein nachzugießen. Danach wird von einem Mitarbeiter der Steinmetzwerkstatt, die die Kloschüssel gefertigt hat, Toilettenbecken, Brille und Deckel verklebt. Für ewig verschlossen. Nur mit roher Gewalt wäre der Deckel zu öffnen. 

Nach einem kurzen Gebet verlassen alle Besucher den Friedhof. Bereits am nächsten Tag gehen bei der Friedhofsverwaltung mehrere Beschwerden ein, in denen gefordert wird, dass die Kloschüssel wegen Unwürdigkeit diesem Ort zu entfernen sei. Das Ganze eskaliert. Immer weitere Beschwerden und Drohungen erhält die Friedhofsverwaltung. Die Polizei muss eingeschaltet werden.

Nachdem die Presse die ersten Artikel mit entsprechende Abbildungen der Kloschüssel veröffentlicht hat, wurde der Friedhof zu einem Wallfahrtsort. Täglich strömten tausende Besucher auf dem Waldfriedhof um die Kloschüssel zu sehen. Fast jeder Neugierige machte ein Foto mit seinem Smartphone. Auch professionelle Fotografen mischten sich unter die Besucher. Nur wenige Tage später waren tausende Fotos mit Kommentaren zu sehen im Netz. Ein weltweites Millionenpublikum kannte jetzt die letzte Ruhestätte von Fedor Winterkorn, wobei die Ruhestätte, vielleicht der falsche Begriff ist. Die Friedhofsverwaltung war wegen der Vielzahl der Beschwerden, Drohungen und Anzeigen überfordert. Deshalb bot der Verband der Kloschüsselhersteller seine juristische und andere Unterstützungen an. Es kam zu mehreren Prozessen verschiedenen Instanzen, bis es letztlich zu dem entscheidenden Urteil durch den Bundesgerichtshof kam. Der Kernsatz der Urteilsbegründung lautete: 

Es ist erlaubt auf einem Friedhof eine Steinskulptur, in welcher Form auch immer, aufzustellen, wenn sie weder eine Privatperson noch den Staat direkt beleidigt oder verunglimpft. Eine Kloschüssel aus Granit tut das nicht”

Der ganze Rummel um Fedor Winterkorns Kloschüssel hatte auch einen positiven Nebeneffekt. Sein letztes Buch Über en Tod wurde zum Bestseller und millionenfach verkauft. Die Erben hätten viel Geld verdienen können. Aber Erben gab es nicht.


KAPITEL 2 — Die Klosettschüssel

Geschichte, Installation und Fotos:
Andreas Hahn, Berlin 2023

Wir zählen das Jahr 2049 – genauer gesagt: Einundzwanzig Jahre—fünf Monate, und ungefähr acht Stunden nachdem Professor Dr. Dr. Fedor Winterkorns Urne beigesetzt wurde. Zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen und vor allem eine bakterielle Pandemie, welche durch ein überzüchtetes südamerikanisches Meerschwein verursacht wurde, dezimierte die Menschheit erheblich.

Die frei gebliebenen Grabstätten rund um Winterkorns Grab wurden indessen von einer Investment Firma aufgekauft, deren Namen wir aus Diskretionsgründen selbstverständlich verschweigen wollen. Diese Firma verpachtete wiederum an ein renommiertes weiteres Subunternehmen diese Quadratmeter, um darauf einen größeren Kiosk zu bauen, welcher dem ausschließlichen Zweck diente, aus Fedor Winterkorns Nachlass— besonders sein Beststeller «Über den Tod»—erfolgreich zu veräußern. Das Marketingkonzept war Zweifels ohne hervorragend—scheiterte jedoch an der Tatsache, dass jegliche Form der Bücher bzw.  elektronischen Apparate (solche wie Computer) nach und nach erfolgreich vom Markt verdrängt waren und der größte Teil der noch verbliebenen Menschheit weder über die Buchstaben noch das Lesen mehr wusste. Jegliche Form der Kommunikation fand zu dieser Zeit über ein ins Gehirn implantierter Chip statt, welches wiederum jegliche Daten an ein weiteres Subunternehmen übergeben wurden, welche jene Daten speicherte und verwaltete. Letzteres Subunternehmen gab jene Daten wiederum an ein weiteres Subunternehmen weiter, welches die Wünsche und Begehren der Kunden in ihre jeweilig gewünschte Form verarbeitete und wieder zurück an die Absender bzw. Auftraggeber gab. Ort und Namen dieser zahlreichen Subunternehmen wurden aus Datensicherheitsgründen selbstverständlich geheim gehalten.

Eben in diesem Im Jahr 2049 wurde die leere Grabstätte just neben Winterkorns Marmoklosettgrabstätte für eine unbekannte Milliardensumme von einem vermeintlichen Techmilliardär aufgekauft, was für einen ungeahnten Aufruhr sorgte. So manches wurde gemunkelt- u.a.  es handele bei dieser Persönlichkeit um eine Reinkarnation Professor Dr. Dr. Fedor Winterkorns. (Wobei statistisch erfasst wurde, dass 26,8 Prozent der Befragten an Wiedergeburt zweifelten, 46,3 Prozent glaubte erst gar nicht daran, und der Rest der Befragten wusste überhaupt nichts mit diesem Begriff anzufangen).

In den darauffolgenden Tagen wurde bekannt gegeben, dass ein öffentliches Event – gleich einer Zeremonie – stattfinden würde, zu dem geladen wurde.  Die Teilnehmerzahl wurde anhand der Platzkapazität eingeschränkt- der Eintrittspreis war hoch – die 10 370 Plätze waren jedoch nach zwei Stunden und 42 Minuten ausverkauft und man wartete gespannt auf die bevorstehende Show. Selbstverständlich wurden zahlreiche Prominente erwartet, deren Namen die Tage immer wieder durchgegeben wurde.

Das Ereignis begann mit einer fulminanten Lasershow. Auch Weltmeister der Akrobatik gaben ihr Bestes (in diesen Tagen schaffte der Weltmeister in der Trapezdisziplin einen neunfachen Salto). Auch Magier waren zugange, welche zu dieser Zeit einen Hasen in eine Hyäne zu verwandeln vermochten)

Als die Stimmung sich auf dem Höhepunkt befand, wurde um Ruhe gebeten, der Techmilliardär höchstpersönlich erschien und kündigte an, dass erneut eine Beisetzung stattfinden würde. Die Überraschung war groß, als diesmal eine Klosettschüssel aus rosafarbenem Diamanten herein transportiert und neben die marmorne Klosettschüssel von Winterkorn platziert wurde. Auf dem Deckel stand in gewöhnlicher Schrift geschrieben:

Hier ruhen für ewig: Dr. Hans Sowohl-als-auch wie auch seine Gattin Frau Dr.  Sabine Abwägung.

Ein in der Maskerade des mexikanischen Todes erscheinende Skelettgestalt versenkte in der Öffnung eine Schrift mit unbekanntem Text und Inhalt, und der Deckel wurde von den Friedhofs- Mitarbeitern für ewig verschlossen.

Das Ganze wurde als sagenhafter Erfolg besprochen! 

Vergeblich wurde sowohl über die Inschrift auf dem Klosettdeckel als auch den möglichen Inhalt der alten Schrift gerätselt- allein: Keiner der Anwesenden war zu dieser Zeit in der Lage, Schriften zu lesen oder gar zu verstehen.

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